Chronik Fernmeldeamt Wiesbaden

M E M E N T O

Erinnerung an das Fernmeldeamt Wiesbaden

Verfasser: Dipl.-Vww. Günter Borm,
Fernmeldeoberamtsrat a.D.,
Beamter für Öffentlichkeitsarbeit des Fernmeldeamtes in Wiesbaden

 


 

Vom Fernmeldewesen in Wiesbaden

In Wiesbaden hielt das Fernmeldewesen erstaunlich früh Einzug. Hier gab es schon in den An­fangszei­ten der elektrischen Telegrafie eine elekt­romagneti­sche Telegrafenanlage längs der Tau­nusbahn zwi­schen Kastel und Wiesbaden. Willi­am Fardely aus Mannheim baute im Jahre 1844 eine 8,8 km lange oberirdische Versuchsstrecke, die mit einem von ihm gebauten Schreibtelegrafen betrieben wurde und die durch den Anschluß von Biebrich Anfang 1845 eine Ausdehnung von 11 km erreichte. In je­ner Zeit und davor bestand zwar eine Reihe von Ex­perimentalanordnungen, wie zum Beispiel von Sömmering, Steinbeil, Gauß und Weber, Schilling von Cannstatt und anderen, aber eine Anlage für den praktischen Gebrauch wie in Wiesbaden exis­tierte nicht. Damals waren auf dem europäischen Festland nur die bekannten französischen und preu­ßischen optischen Telegrafenlinien in Betrieb sowie ein elektrisches Signalsystem auf der Seilbahn von Aachen nach Ronheide aus dem Jahre 1843, mit dem man aber nicht mehr als vier Zeichen darstellen konnte. Elektrische Telegrafenanlagen bestanden sonst noch in England sowie in Amerika, wo im gleichen Jahre 1844 Samuel Morse seine Verbin­dung zwischen Washington und Baltimore eröffnet hatte. Die Telegrafenanlage Wiesbaden-Kastel, die das anfängliche Versuchsstadium bald verließ und wenig später nach Frankfurt verlängert wurde, be­nutzte als technische Besonderheit nur eine Leitung, weil Fardely bei der Konstruktion seiner Apparate die Leitfähigkeit der Erde für die Rückleitung aus­nutzte. Durch die Benutzung nur einer Leitung er­zielte Fardely eine enorme Kostenersparnis, die noch dadurch erhöht wurde, daß er seine Apparate preiswert lieferte. Die Freileitung bestand aus einem an Holzmasten befestigtem Kupferdraht von 1,5 mm Durchmesser. An beiden Endpunkten der Linie hatte man große Kupferplatten in den Boden ge­senkt und so die Leitfähigkeit erhöht.Als die Anlage im September 1844 in Betrieb genommen wurde, stand im Taunusbahnhof in Wiesbaden ein Fardelyscher Zeigertelegraf und in Kastel ein Druckapparat. Bei dem Zeigertelegrafen han­delte es sich um eine für den eindrahtigen Betrieb konstruierte Fortentwicklung des Wheatstoneschen Apparates.

Als der elektrische Telegraf auf den ersten Verbin­dungswegen nach Überwindung der anfänglichen Mängel seine Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt hatte, plante man bald weitere Linien, die in den fünfziger und sechziger Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts entstanden.

Im damaligen Herzogtum Nassau, das seinen Regie­rungssitz in Wiesbaden hatte, besaß die Preußische Königliche Telegrafendirektion gewisse Befugnisse zum Bau von Telegrafenlinien, die offenbar immer von Fall zu Fall im einzelnen vereinbart wurden. Als erste große Land-Telegrafenlinie in Nassau ent­stand im Jahre 1857 die Verbindung Frankfurt-Wiesbaden-Langenschwalbach-Nassau-Ems, über die (dann als Königsleitung 139 bezeichnet) im Jahre 1870 die Emser Depesche Bismarcks telegra­fiert wurde. Der zwischen Wiesbaden und Frankfurt verlaufende Teil dieser Linie wurde seinerzeit als Ländchenleitung bezeichnet und war im Jahre 1862 bereits auf fünf Leitungen angewachsen. Zu den frühen Telegrafenlinien, die von Wiesbaden aus gingen, zählen noch die nach Schlangenbad (1863) und Montabaur (1870).

Erste öffentliche Telegrafenstation in Wiesbaden

Die erste öffentliche Telegrafenstation Wiesbadens befand sich im Taunusbahnhof, nachdem die Tau­nusbahn im Jahre 1853 schließlich die Erlaubnis bekam, Privattelegramme zu befördern. Ihre Tele­grafenanlagen durften jedoch mit anderen nicht in unmittelbare Verbindung treten. Sie blieb allerdings nicht lange die einzige, denn andere Eisenbahnen kamen bald nach Wiesbaden, die auch mit Telegra­fen ausgerüstet waren, und darüber hinaus gab es in den 1850er Jahren eine Königlich Preußische Tele­grafenstation, die zunächst von ihrem wahrscheinli­chen Domizil in der Rheinstraße 8 zur Bahnhof­straße umzog und später im alten Rathaus Wiesba­den, Marktstraße 18, untergebracht war, wobei sie nacheinander die Bezeichnungen Königlich Preußi­sche Telegrafenstation, Telegrafenstation des Nord­deutschen Bundes und schließlich Telegrafenstation des Deutschen Reiches trug.Im Adreßbuch der Stadt Wiesbaden findet man im­mer wieder die Eintragungen Telegrafenstation der Taunusbahn, die seit Fardely´s Tagen die Anschrift Rheinstraße 4 hatte. In folgenden Adreßbuchausga­ben findet die Telegrafenstation Erwähnung:

o   1860/61 Königlich Preußische Telegrafensta­tion, Rheinstraße 8
o   1868/69 Telegrafenstation der Königlichen Staatsbahn, Rheinstraße 6
o   1869/70 Telegrafenstation des Norddeutschen Bundes, Marktstraße 18
o   1871/72 Telegrafenstation des Deutschen Rei­ches, Marktstraße 18
o   1877/78 Telegrafenstation der Staatsbahn, Rheinbahnstraße 6
o   und Telegrafenamt des Deutschen Reiches, Rheinstraße 9 (später 19)

In der Rheinstraße 9 befand sich das Palais des Gra­fen Walderdorff, nassauischer Staatsminister von 1835 bis 1842, das im Jahre 1876 die Post aufkaufte und für Dienstzwecke umbaute und das damals eine Zierde für die Rheinstraße darstellte. In dieses Ge­bäude zogen das Wiesbadener Postamt und das 1876 gegründete Telegrafenamt ein. Im Jahre 1900 wurde das Postpalais abgerissen, weil es einem Neubau weichen mußte, der in den Jahren 1904 bis 1905 errichtet und in der Zeit bis 1907 zur Lui­senstraße erweitert wurde. In dieser Form besteht das Gebäude im wesentlichen noch heut

Statistische Erhebung

Am 30. April 1876 unterschrieb der Kaiserliche Ober-Postdirector in Frankfurt am Main, Geheimer Postrath Heldberg, eine Verfügung an das Tax-Büro seiner Direction „…mit dem Auftrage, aus den Ei­senbahn-Contors bzw. dem Tel. Material zu ermit­teln, wie viel Telegramme innerhalb des Monats März d. J. bei den im diesseitigen Bezirk gelegenen Eisenbahn-Telegraphen-Stationen aufgegeben wor­den sind.“ Frist: 14 Tage.Dieses angeforderte Verzeichnis legte das Tax-Büro bereits vor Ablauf des Termins am 9. Mai „gehor­samst“ vor. Danach wurden auf den Stationen der alten Taunusbahn 219 Telegramme angenommen, davon 11 in Wiesbaden. Auf die anderen Bahnhöfe entfielen die folgenden Zahlen:

Frankfurt am Main 44
Hattersheim 17
Hochheim 16
Biebrich 13
Flörsheim 10
Höchst   4
Castel   3
Curve   1

 

Von den Anfangszeiten des Wiesbadener Telegrafenamtes bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

Erster Vorsteher des 1876 gegründeten Telegrafen­amtes war Telegrafendirektor Gustav Meyer. Ab 1885 wurde das Amt von Telegrafendirektor Josef Sack geleitet, in dessen Amtszeit auch die Inbe­triebnahme der ersten Stadtfernsprecheinrichtung Wiesbadens fiel. Der in der zeitlichen Reihenfolge dritte Amtsvorsteher war ab 1887 Telegrafendirek­tor Eduard Freiherr von Seckendorf, der 1896 die ersten Fernsprechgehilfinnen in Wiesbaden mit ei­nem Tagegeld von 2,25 Mark einstellte und der bis 1902 Dienst tat. Anschließend leitete Telegrafendi­rektor Frosch 21 Jahre lang das Telegrafenamt.Kaum hatte General-Postmeister Heinrich von Ste­phan im Oktober 1877 das Bell´sche Telefon ken­nen gelernt, da ließ er es auch schon innerhalb kur­zer Zeit bei der Post einführen und zwar zunächst als Telegrafenapparat. Er gab bereits am 28. No­vember 1877 eine Dienstanweisung für den Betrieb von Telegrafenlinien mit Fernsprechbetrieb heraus und richtete Telegrafenanstalten mit Fernsprechbe­trieb ein, die nur zur Übermittlung von Telegram­men mittels Fernsprecher dienten. Das war zu jener Zeit ein ausgezeichneter Gedanke, weil nur das Te­legrafennetz mit einfachen Mitteln bis hin zu kleine­ren Orten ausgebaut werden konnte und man weder kostspielige Morse- oder andere Telegrafenapparate noch besonders ausgebildetes Personal benötigte. Seit 1877 sind für den Telegrafenbetrieb mit Fern­sprechern besondere Leitungen eingeführt worden, die Sp-Leitungen genannt wurden und an die meh­rere Ämter hintereinander mit parallel geschalteten Hörern angeschlossen waren. Die so miteinander verbundenen Telegrafenstellen verkehrten, wie man damals sagte, im Omnibusverkehr. Eine solche Omnibus-Linie, die früher zum Leitungsrevisions-Bezirk Wiesbaden gehörte, war die sogenannte Westerwald-Telegrafen-Rundlinie, an die unter an­derem Montabaur, Hadamar, Limburg, Westerburg und Rennerod angeschlossen waren. Eine andere Omnibus-Leitung verlief von Wiesbaden über die Rheingauorte nach Koblenz, wobei jede Telegrafen­anstalt ihr besonderes Rufzeichen hatte

 

Die Stadt-Fernsprecheinrichtung in Wiesbaden

Seit Anfang 1885 bemühte sich der Geheime Postrat Theodor Karass, unter den 55000 Einwohnern Wiesbadens Fernsprechabonnenten zu gewinnen. Immerhin gab es dann in Wiesbaden 68 Teilnehmer, als am 1. Dezember 1885 im Parterre des Seitenflü­gels auf dem Posthof Rheinstraße 23/25 die erste Stadt-Fernsprecheinrichtung eröffnet wurde. Sie kostete 47000 Mark und war mit Klappschränken ausgestattet, an denen zwei Beamte in der ersten Zeit täglich bis zu 180 Gespräche vermittelten. Die beiden Beamte waren die Vermittlungsanstalt, wie aus der Anweisung zur Benutzung der Fernsprech­einrichtungen hervorgeht und meldeten sich, wenn eine Klappe fiel, mit den Worten: Hier Amt, was belieben? Sie stellten die Verbindung mit Stöpsel­schnüren über Klinken her, an denen die oberirdisch geführten Anschlußleitungen aus Eisendraht ende­ten. Zu den Anschlüssen führte jeweils nur ein Draht, wobei als Rückleiter wie zu Fardely´s Zeiten die Erde diente.In den ersten 10 Jahren war es mit der Entwicklung des Fernsprechdienstes nur recht langsam voran ge­gangen. So waren in diesem Zeitraum die Zahlen der Anschlüsse von zunächst 68 auf 380, die der täglich vermittelten Gespräche von 180 auf 2100, und die der Vermittlungsbeamten (Frauen kamen erst 1896 hinzu) von zwei auf neun gestiegen. Aber nach 1895 hatte eine kräftige Aufwärtsentwicklung eingesetzt, die schließlich im Jahre 1910 zu einer stolzen Zahl von 3907 Anschlüssen führte. Damit hatten sich die Sprechstellen gegenüber 1895 mehr als verzehnfacht. Nun waren schon am fünfund­zwanzigsten Geburtstag der Stadt-Fernsprechein­richtung 76 Vermittlungskräfte damit beschäftigt, täglich 30000 Gesprächsverbindungen herzustellen. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges waren 4682 An­schlüsse und nach dessen Ende (und zwar 1919) 5358 Anschlüsse in Betrieb.

Ohne einschneidende Veränderungen in der Tech­nik war der ständig zunehmende Fernsprechverkehr nicht mehr zu bewältigen. Aus diesem Grund kam 1905 eine ganz entscheidende Neuerung, die mit dem Neubau des Postdienstgebäudes (der heutigen alten Hauptpost) auf dem ehemaligen Walder­dorff´schen Grundstück einherging. Um für mehrere Jahre den nötigen Raum für den Fernsprechbetrieb zu schaffen, wurde im Mittelbau zwischen Rhein- und Luisenstraße ein 480 qm großer, mit Oberlicht ausgestatteter Saal geschaffen, in dem die Vielfach­schränke nach dem Zentralbatteriesystem Aufstel­lung fanden. Damit wurden die früher bei den Sprechstellen untergebrachten Stromquellen für den Anruf und das Sprechen beim Amt vereinigt, zent­ralisiert. Als Anrufsignal diente bei den neuen Viel­fachschränken kleine Glühlampen statt der früheren Klappen.

Mit der Einführung des Zentralbatteriesystems und der Vielfachschränke war auch eine völlige Um­gestaltung des Leitungsnetzes verbunden. Nun mußten alle bisher eindrahtig angeschlossenen Fernsprechapparate mit zwei Adern versorgt wer­den. Das war natürlich auf längere Sicht mit oberir­disch gespannten Leitungen in Wiesbaden nicht mehr möglich. Zudem gab es bereits vorher Hinder­nisse und Schwierigkeiten, besonders auf den Dä­chern der Häuser, an denen Stützpunkte für oberir­dische Leitungen angebracht waren und die bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit in Anspruch genommen wurden. Das Telegrafenamt legte deshalb bereits im Jahre 1900 ein erstes Fernsprechkabel mit 448 pa­pierisolierten Kupferadern zur Wilhelmsheilanstalt aus. Nach und nach verschwanden in den folgenden Jahren die Freileitungen und damit das unschöne Gewirre von Stangen und Drähten auf den Dächern Wiesbadens.

Die Telegrafen- und Fernsprechlinien errichtete und unterhielt der Bau, ein Wort, mit dem auch heute noch der Fernmeldebaudienst kurz bezeichnet wird.

Im Gründungsjahr 1876 des Wiesbadener Telegra­fenamtes gab es bei der Frankfurter Ober-Postdi­rektion zwei Telegrafenlinien- und Instandhal­tungsbezirke, von denen der Frankfurter Bezirk mit dem Leitungsrevisor Sturm für den Wiesbadener Bereich mit zuständig war. Mit der später zuneh­menden Verdichtung des Telegrafen- und Fern­sprechnetzes fielen soviel Arbeiten an, daß die Or­ganisation mehrere Male geändert wurde. Bis zum Jahre 1905 erhöhte sich die Zahl der Leitungsrevisi­onsbezirke auf fünf, von denen einer seit 1887 in Wiesbaden unter den Leitungsrevisor Steinhäuser und später Engelmann stand. Der Leitungsrevisor unterstand direkt der Oberpostdirektion. Er hatte in seinem Bezirk für die Ausführung aller Fernmelde­bauarbeiten zu sorgen, die Linienführung und We­gebenutzung zu ermitteln, den Bedarf an Baumate­rial und Apparaten festzustellen sowie die Arbeits­kräfte einzustellen. Gearbeitet wurde zunächst vom Frühling bis zum Herbst, dann entließ der Leitungs­revisor das Personal. Erst später, als der Baudienst verschiedentlich umorganisiert wurde, beschäftigte man die Arbeiter das ganze Jahr hindurch. Ab 1905 erhielt das Telegrafenamt eine eigene Fernsprech-Bauabteilung und aus dem Leitungsrevisor wurde ein Telegrafen-Bauführer.

1914 begann der Erste Weltkrieg. Viele Beamte des Telegrafenamtes wurden Soldaten, einige mußten ihr Leben lassen und andere kamen mit Verwun­dungen zurück. Aus dem Kaiserlichen Telegrafen­amt wurde nach dem Krieg schlicht ein Telegrafen­amt. Eine Epoche ging zu Ende.

 

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Waffenstillstandsvertrag besetzten fran­zösische Truppen im Dezember 1918 das Rheinland und rückten dabei auch in Wiesbaden ein. Von nun an entstanden den Beamten des Telegrafenamtes und anderen Behörden Schwierigkeiten durch die Unterstellung Wiesbadens unter die französische Militärgewalt. Die Beamten mußten sich damals durch die Bestimmungen des Waffenstillstandsab­kommens, des Friedensvertrages, des Rheinlandab­kommens und der örtlichen Besatzungsbehörde hin­durchlavieren, gleichzeitig aber die deutschen Ge­setze sowie die Anordnungen und Verfügungen ih­rer außerhalb des Besatzungsgebietes liegenden vorgesetzten Oberpostdirektion Frankfurt beachten. Ohne Wissen und Zustimmung der Franzosen durf­ten damals Beamte weder eingestellt noch befördert oder entlassen werden. Der Oberpostdirektion spra­chen die Besatzungsbehörden alle Weisungsbefug­nis ab und ließen deren Beamte zunächst nicht in das Rheinland einreisen. Mit gewissen Einschrän­kungen erkannten sie schließlich eine Vertretung der Oberpostdirektion Frankfurt an, die zuerst in Mainz und dann in Wiesbaden untergebracht war. Im Jahre 1920 entstand aus dieser Vertretung die Stelle des Beauftragten der Deutschen Reichspost beim Interalliierten Oberkommando, die eine Art Vermittlerrolle ausübte. Diese Position nahmen die jeweiligen Vorsteher des Wiesbadener Telegrafen­amtes ein. Als im Jahr 1923 Frankreich das Ruhrge­biet besetzte und die Reichsregierung den passiven Widerstand proklamierte, wuchsen die Spannungen zwischen den Deutschen und den Franzosen in Wiesbaden immer mehr an. Im Brennpunkt dieser Spannungen stand natürlich auch das Telegrafen­amt. Hier hatten die Franzosen eine militärische Zentrale eingerichtet und benutzten viele beschlag­nahmte Leitungen und Einrichtungen. Der französi­sche Nachrichtenverkehr und die Übermittlung der Befehle nahmen ihren Weg über das Telegrafenamt. Somit war ein ununterbrochener Anlaß zu Konflik­ten gegeben. Starrköpfigkeit und Unverständnis auf beiden Seiten führten nach und nach zu unausbleib­lichen Schwierigkeiten, zu Ausweisungen und Ver­haftungen von Amtsangehörigen und schließlich zur Schließung des Telegrafenamtes am 10. März 1923 durch die Franzosen. Unter dem Eindruck dieser Maßnahmen kam es zu Protesten und Streiks, die aber zu nichts als einer weiteren Verschärfung der ohnehin spannungsgeladenen Situation führten.In dieser Zeit fand die Oberpostdirektion Frankfurt in Postdirektor Wilhelm Steinhäuser einen Mann, der imstande war, diese aussichtslose Lage zu meistern. Mit diplomatischem Geschick erreichte er nach vielen Verhandlungen mit den Franzosen und mehreren Versammlungen mit dem Personal des Telegrafenamtes, daß am 26. September 1923 der Dienst wieder aufgenommen wurde, nachdem die Franzosen ihre sechzig Mann starkes Truppenkom­mando aus dem Telegrafenamt zurückgezogen hat­ten.

Zusätzlichen Ärger bekam Steinhäuser mit den An­schlüssen der damaligen Regierung von Adam Dorten, der mit Unterstützung der Franzosen im Jahre 1919 versuchte, eine Rheinische Republik zu proklamieren und der 1923 einen letzten Versuch unternahm, doch noch zum Ziel zu kommen. Wegen der starken französischen Schutzhand mußte Postdi­rektor Steinhäuser die von der Dorten-Regierung benutzten Fernsprechanschlüsse genau so bedienen, wie alle anderen, obwohl vielfach hierfür keine Ge­bühren bezahlt und Sperren oder Abschaltungen von den Franzosen nicht geduldet wurden. Am 3. Juni 1924 übergab Steinhäuser nach einem konfliktrei­chen Jahr das Telegrafenamt an Oberpostdirektor Hermann Gieß, der später in das Reichspostministe­rium berufen und dort zum Staatsekretär ernannt wurde. Weitere Leiter des Telegrafenamtes bis zum Zweiten Weltkrieg waren Postrat Walther (1926), Oberpostrat Eckert (1931), Postrat Gerber (1939), Postrat Dipl.-Ing. Matschke (1940) und Postamt­mann Sinz als kommissarischer Leiter während des Zweiten Weltkrieges.

In die Wirren nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Gründung eines neuen Amtes des Fernmeldewe­sens, des Telegrafenbauamtes Wiesbaden.

Das Telegrafenbauamt

In der Luisenstraße 10/12 wurde am 1. September 1920 das Telegrafenbauamt Wiesbaden eingerichtet. Aus der alten Organisationsform übernahm das Te­legrafenbauamt die frühere Fernsprech-Bauabtei­lung als Telegrafen-Bauabteilung. Der neue Bau­amtsbereich umfaßte die neun Bauführerbezirke Wiesbaden Stadt, Wiesbaden-Ost mit Flörsheim, Wiesbaden-Südwest mit Biebrich, Rheingau in Rü­desheim, Untertaunus in Bad Schwalbach, Rhein in Niederlahnstein, Unterlahn in Bad Ems, Unterwes­terwald in Montabaur und Main-Taunus in Höchst, an deren Spitze jeweils ein Telegrafen-Oberbaufüh­rer stand, der vier oder fünf Bautrupps mit jeweils zwölf Arbeitskräften zur Verfügung hatte. Im Ver­lauf der folgenden Jahre änderte sich der Amtsbe­reich mehrmals. So kamen 1924 die Bezirke von Königstein, Diez und Hachenburg hinzu, die nach Abzug der Besatzungstruppen im Jahre 1930 wieder zu ihren ehemaligen Telegrafenämtern zurückkehr­ten. Nach Auflösung des Telegrafenbauamtes Lim­burg im Jahre 1934 erhielt das Telegrafenbauamt Wiesbaden die Bezirke Limburg und Hachenburg.Das neue Amt nahm seine Arbeit mit 272 Bediens­teten auf. An der Spitze des Amtes stand bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges mit Ausnahme einer kurzen Unterbrechung Telegrafendirektor Otto Leng. Während die Fernsprech-Bauabteilung des Telegrafenamtes ein ausführendes Organ der Ober­postdirektion war, leitete das Telegrafenbauamt in­nerhalb seines Amtsbereiches nunmehr den Telegra­fen- und Fernsprechbaudienst selbständig. Zug um Zug wurde das Liniennetz entsprechend des Bedarf weiter ausgebaut. In der Zeit zwischen 1927 und 1934 wurden die ersten Fernkabel ausgelegt, 1933 ging das erste Verstärkeramt des Telegrafenbau­amtsbereichs in Betrieb und 1938 wurde mit dem Bau der unterirdischen Verstärkerstelle Rüdesheim (Nothgottes) sowie mit den Arbeiten zur Einführung des Drahtfunks über Fernsprechleitungen begonnen. Zur Erfüllung der umfangreichen Bau- und Unter­haltungsarbeiten in dem weiträumigen Amtsbereich erhielt das Telegrafenbauamt 1920 seinen ersten Lastkraftwagen, 1926 einen Personenkraftwagen, 1928 den ersten Bautrupplastzug und in den Jahren 1929 bis 1933 kleine Personenkraftwagen für den Entstörungs- und Ämterpflegedienst, den das Tele­grafenbauamt für alle außerhalb Wiesbadens er­richteten Wählvermittlungsstellen (Selbstanschlu­ßämter) wahrnahm.

Die Entwicklung des Fernmeldewesens nach dem Ersten Weltkrieg

Die entscheidendste technische Veränderung im Fernsprechvermittlungsdienst des Telegrafenamtes Wiesbaden nach der Umstellung von dem Ortsbatte­rie- auf den Zentralbatteriebetrieb im Jahre 1910 kam 1926, als eine für damalige Verhältnisse hoch­moderne Wählvermittlungsstelle die Orts-Hand­vermittlung ablöste. Angefangen hatte die Wähl­vermittlungstechnik mit einem unzufriedenen Tele­fon-Abonnenten Almon B. Strowger aus Kansas-City, einem Leichenbestatter, der sich bei der Ge­sprächsherstellung bei den Damen seiner Vermitt­lung benachteiligt fühlte und Überlegungen an­stellte, wie man Telefonverbindungen mechanisch zustande bringen könnte. Im Jahre 1889 erhielt er für die erste elektromechanische Wählervorrichtung ein Patent. Nach jahrelangen Experimenten mit ver­schiedenen elektromechanischen Systemen ist von der Reichspost ein Hebdrehwähler eingeführt wor­den, der in dem sogenannten System 22 allgemein Verwendung fand. Doch bevor diese neue Wähl­technik beim Telegrafenamt Einzug hielt, mußte erst Platz für die schweren Gestelle mit ihren Vor- und Hebdrehwählern sowie den Relais geschaffen werden. Zu diesem Zweck wurde der 7 bis 8 Meter hohe Raum der Handvermittlung umgebaut und mit einer Zwischendecke hoher Tragfähigkeit versehen. So entstanden zwei übereinanderliegende Räume, von denen der obere für das Selbstanschlußamt (so wurde eine Wählvermittlungsstelle damals genannt) bestimmt war, während in dem anderen das Fern­amt und später das Schnellamt unterbracht waren. Ein im Seitenflügel des Postdienstgebäudes aufge­bautes Notfernamt überbrückte die Zeit der Um­bauarbeiten.Der Aufbau des ersten Wiesbadener Selbstanschlu­ßamtes begann am 24. August 1925 durch die Auf­baufirma Siemens & Halske. Der Aufbau dauerte 9 Monate. Das neue Selbstanschlußamt besaß eine Kapazität von 7200 Anschlüssen sowie 800 Mehr­anschlüssen für Teilnehmer mit mehreren Anschlußnummern und war damit das erste große Selbstanschlußamt im Bereich der Oberpostdirek­tion Frankfurt. Die Inbetriebnahme erfolgte in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 1926. Diese Ver­mittlungsstelle versorgte jahrzehntelang die ganze Stadt Wiesbaden mit Ausnahme von Biebrich und Schierstein und erhielt später die Bezeichnung Vermittlungsstelle 2. Ein weiteres Selbstanschlu­ßamt ging in Wiesbaden am 25. März 1928 im Postamt Wiesbaden-Biebrich in Betrieb und wurde später als Ortsvermittlungsstelle 6 bezeichnet. Da­mit konnte auch in Biebrich der seit dem 8. Novem­ber 1891 eingeführte handvermittelte Fernspre­chortsdienst aufgehoben werden. Für den Unterhal­tungsdienst beider Selbstanschlu­ßämter war die technische Stelle des Telegrafen­amtes Wiesbaden zuständig. Im Bereich des Tele­grafenbauamtes Wiesbaden kamen u. a. Kleine Landzentralen zum Einsatz. Darunter verstand man kleine Wählver­mittlungsstellen für jeweils 50 oder 100 Teilneh­meranschlüsse. Eine solche wurde im Ortsnetz Wallau am 10. Juni 1926, also zehn Tage vor dem großen Selbstanschlußamt Wiesbaden, in Betrieb genommen. Die Vermittlungsstelle war in einem eigens dafür gebauten kleinen Häuschen von 20 qm Grundfläche untergebracht, wofür die Fern­sprech­teilnehmer einen Zuschuß von je 150 Reichsmark zu zahlen hatten. Weitere Selbstanschlußämter gin­gen am 20. März 1926 in Schlangenbad, am 13. August 1928 in Bad Schwal­bach, am 19. Dezember 1929 in Eltville, am 21. De­zember 1929 in Oestrich, am 8. März 1930 in Rü­desheim, am 7. September 1932 in Hochheim (Main), am 4. Oktober 1933 in Idstein, am 1. De­zember 1933 in Michelbach, am 10. Februar 1934 in Wehen und am 12. Juni 1936 in Lorch in Betrieb.

Schnellverkehr Wiesbaden-Frankfurt

Zwischen Frankfurt und Wiesbaden wurde im Jahre 1927 das Fernkabel 27 Frankfurt-Wiesbaden-Mainz ausgelegt. Über dieses Kabel verlief dann der am 24. Juli 1927 eröffnete neue Schnellverkehr vom Fernamt des Wiesbadener Telegrafenamtes nach Frankfurt und den angeschlossenen Selbstanschlu­ßämtern in Offenbach, Hanau und Höchst. Für die Wiesbadener Fernsprechteilnehmer war dies eine wesentliche Dienstverbesserung, denn sie meldeten nun ihre Gespräche unter der neu geschalteten Ruf­nummer 09 beim Schnellverkehrsamt an, das sie unmittelbar ohne Wartezeiten mit dem gewünschten Teilnehmer verband. In den neuen Schnellverkehrs­dienst wurden im August 1927 Mainz und später auch noch andere Ortsnetze einbezogen. Bei der Einführung des Schnellverkehrs muß es in Wiesba­den schon Münzfernsprecher (vermutlich in Post­ämtern) gegeben haben, denn in der Pressemit­tei­lung wurde damals darauf hingewiesen, daß auch die Münzfernsprecher am Schnellverkehr teilneh­men können. Die ersten Fernsprechhäuschen in Wiesbaden wurden dagegen erst im Jahre 1931 auf­gestellt, das erste Häuschen dieser Art an der Ring­kirche, auf der Alleeseite der Rheinstraße.

Wiesbaden erprobt den Fernsprech-Kundendienst (KD)

Wiesbadens Fernsprechteilnehmer gehörten zu den ersten, denen die Reichspost am 1. Oktober 1931 die betriebliche Neuerung des Fernsprech-Kunden­dienstes bescherte. Dieser Kundendienst, aus dem sich später der Fernsprech-Auftragsdienst entwi­ckelte, sollte zunächst in den Städten Berlin, Ham­burg, Köln und hier in Wiesbaden erprobt werden. Folgende Möglichkeiten wurden dem Fernsprech­kunden unter anderem angeboten:
Ein Teilnehmer kann die KD-Stelle beauftragen, be­stimmten Fernsprechteilnehmern eine Nachricht durch Fernsprecher auch nach anderen Ortsnetzen zu übermitteln oder die Rufnummern, Namen und Mitteilungen etwaiger Anrufer aufzuzeichnen und sie durch Fernsprecher, Telegramm oder Brief zu übermitteln. Der Kundendienst nahm unter gewis­sen Einschränkungen auch Aufträge von öffentli­chen Fernsprechern aus entgegen.Erstaunlich gering waren die Aufwendungen in Höhe von 219,98 Mark, die damals zur versuchs­weisen Einführung des Fernsprech-Kundendienstes in Wiesbaden notwendig waren.

Die Zeit während des Zweiten Weltkriegs

Zwei Jahre vor dem Ende des Krieges bekam das Telegrafenbauamt Wiesbaden unverhofft einen gro­ßen Gebietszuwachs. Anfang 1943 löste nämlich das Reichspostministerium das Telegrafenbauamt Mainz auf und wies dessen ganzen Bereich dem Telegrafenbauamt Wiesbaden zu. Dieser Zuwachs sollte jedoch nicht von langer Dauer sein.Je mehr sich der Krieg dem Ende zuneigte, desto häufiger und intensiver wurden die Bombenangriffe, die immer größere Zerstörungen im Kabelnetz und bei den Fernmeldeeinrichtungen anrichteten. Fern­ämter außerhalb Wiesbadens fielen zunehmend aus, unter anderem auch dadurch, daß Kabelstörungen nicht mehr mit der notwendigen Schnelligkeit be­hoben werden konnten. Die Bautrupps hätten die zehnfache Stärke haben müssen, um mit der Besei­tigung der Kriegsschäden einigermaßen auf dem laufenden zu bleiben. Tüchtige Kabellöter wurden zudem zu Hilfslötertrupps für Fernkabel zusam­mengestellt und in anderen Reichspostdirektions-Bezirken eingesetzt. Im Fernamt Wiesbaden kam es durch die Massenstörungen sowie durch die tägli­chen mehrstündigen Fliegeralarme zu gewaltigen Stockungen in der Gesprächsabwicklung. An die Belastbarkeit des Betriebspersonals wurden damals durch die trostlosen Zustände fast un­menschliche Anforderungen gestellt. Von den vielen Zerstörun­gen sollen hier nur einige erwähnt werden. Vier Monate vor Einstellung der Kampfhandlungen wurde die dem Fernsprechamt Wiesbaden (das Te­legrafenamt war bereits im Jahre 1937 in Fern­sprechamt umbenannt worden) unter­stellte Ver­mittlungsstelle Wiesbaden-Biebrich bei einem Ta­gesangriff völlig ausgebombt. Es gelang, etwas mehr als 150 der wichtigsten Anschlüsse auf die Vermittlungsstelle Wiesbaden in der Rhein­straße 23/25 umzuschalten, die die Bombenangriffe unver­sehrt überstanden hatte. Im Gegensatz dazu wurden die beiden Mainzer Vermittlungsstellen völlig zer­stört.

Als im März 1945 der Ortsverkehr in Wiesbaden durch die Beschädigung fast aller Hauptkabel und durch einen Wassereinbruch im Hauptverteilerraum bis auf wenige Anschlüsse zum Erliegen kam, der Fern- und Schnellverkehr durch die Zerstörung der Fernkabel ebenfalls unmöglich war und das Perso­nal wegen des dauernden Beschusses der Stadt nicht mehr zum Dienst kommen konnte, wurde das Fern­sprechamt am 24. März 1945 geschlossen und nach Bad Soden-Allendorf verlagert. Zuvor hatte schon das Telegrafenbauamt seinen Ausweichort Großal­merode erreicht.

Der kommissarische Leiter des Fernsprechamtes, Postamtmann Sinz, gelangte unter vielen Schwie­rigkeiten mit einigen Amtsangehörigen an das Ziel, wo er sich sofort mit dem ausgelagerten Telegra­fenbauamt und dem sich ebenfalls in der Nähe be­findlichen Postamt Wiesbaden in Verbindung setzte. Man half sich gegenseitig und mußte sich dann gemeinsam wegen der zügig voranmarschie­renden Truppen der Alliierten auf eine abenteuerli­che Flucht begeben. Ständig nach einem geeigneten Ausweichort zur Fortführung der Dienstgeschäfte Ausschau haltend, führte die Fahrt über Naum­burg/Saale, Hof, Wunsiedel, Weiden in der Ober­pfalz, Regensburg, Mosham und Landshut nach Wasserburg. Als bei einem Tieffliegerangriff die Kraftomnibusse und damit die gesamte persönliche und dienstliche Habe verloren gingen, trennten sich die Kollegen, um einzeln oder in Gruppen Wiesba­den wieder zu erreichen. Als die Ersten im Juli 1945 in ihre Heimatstadt ankamen, hatten die Amerikaner die Stadt schon lange vorher am 28. März besetzt und eine Militärregierung eingerichtet.

Der neue Anfang

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches be­gannen die Deutschen die Trümmer aufzuräumen. Die Siegermächte teilten den staatlichen Torso auf. Die politische Neuordnung war eine der wichtigsten Aufgaben. Das Personal des Post- und Fernmelde­wesens wurde zu diesem Zweck gesiebt, gesichtet, entnazifiziert und durch die ersten Heimkehrer ver­stärkt. Bald zeigte sich, daß eine moderne Verwal­tung (auch eine militärische) ohne das Fernmelde­wesen nicht denkbar war. Hatte man zunächst von Sprengungen und Demontage gesprochen, so stellte sich bald heraus, daß diese Gedankengut wieder vergessen werden mußte. Hier sei noch ein kurzer Rückblick auf den sogenannten Endkampf gestattet. Nur im Einzelfall ist sicher bekannt, wie viele Be­fehle zur Zerstörung von postalischen und fernmel­detechnischen Anlagen von den Post- und Fern­meldebeamten nicht beachtet wurden. All den vie­len Unbekannten sei hiermit gedankt, da ihre Handlungsweise oft die Grundlage für einen raschen Wiederaufbau des Post- und Fernmeldewesens nach dem Zusammenbruch war.Das Fernmeldewesen in Wiesbaden wurde zunächst durch die amerikanische Besatzungsmacht voll­kommen in Beschlag genommen. Der Dienst ruhte bis zum August 1945. Die Beschlagnahme geschah durch die Besetzung der Gebäude in der Rhein­straße 23/25 und durch das Ziehen von Stacheldraht in der unteren Luisenstraße, so daß ein Befahren der Straße zwischen der Bahnhofstraße und Wilhelm­straße nicht mehr möglich war. Das Interesse der US-Besatzungsmacht entstand aus der politischen und militärischen Entscheidung, in Wiesbaden die Militärverwaltung und das Hauptquartier der ameri­kanischen Luftwaffe einzurichten. Darüber hinaus wurde Wiesbaden später zum Sitz der Hessischen Landesregierung bestimmt. Diese Entscheidungen sowie der rasche Wiederaufbau und der beginnende Wirtschaftsaufschwung Anfang der 50er Jahre führten zu besonderen Anforderungen an das Fern­meldewesen in Wiesbaden, auch im organisatori­schen Bereich.

In Wiesbaden bestand für das Stadtgebiet ein Fern­sprechamt, das später im Jahre 1952 in Fernmelde­amt umbenannt wurde. Es wurde in den Jahren 1945 bis 1947 von Obertelegrafen-Inspektor Schäffer, der 1947 nach Frankfurt (M) versetzt wurde, und 1947 bis 1954 von Postrat Hartmann, der kurz vor seiner Pensionierung verstarb, geleitet. Den linientechni­schen Bereich hingegen betreute das Telegrafen­bauamt, das die Fernmeldedienststellen Gießen, Wetzlar, Dillenburg und Marburg umfaßte. Eine ge­naue Trennung von technischen Aufgaben bezüg­lich der Betreuung der Selbstanschlußämter und Kabelanlagen gab es nicht. So waren Selbstanschlu­ßämter, die nicht gleichzeitig an ihrem Standort ein handvermitteltes Fernamt hatten, in der technischen Betreuung dem Telegrafenamt unterstellt, das eben­falls 1952 in Fernmeldebauamt unbenannt wurde.

Nachdem absehbar war, daß die großen Aufgaben und Anforderungen an das Fernmeldeamt mit Ver­einigten Ämtern besser bewältigt werden konnten, stand auch in Wiesbaden die Bildung eines Verei­nigten Fernmeldeamtes der Grundform an. Die da­maligen Vorstellungen führten jedoch im Falle Wiesbadens zunächst zu unruhigen Zeiten für das Personal. Mit der Bildung eines Fernmeldeamtes in Gießen sollte dessen Amtsbereich gebietsmäßig an den Bereich der künftig zu schaffenden Hauptver­mittlungsstelle angepaßt werden, was fast die volle Verlegung des Fernmeldeamtes Wiesbaden nach Gießen mit allen personellen Folgen bedeutet hätte. Aber auch über dem Fernmeldeamt zogen dunkle Wolken auf, da es nach damaliger Vorstellung an­geblich möglich gewesen wäre, Wiesbaden verwal­tungsmäßig von Darmstadt aus zu betreuen, so daß in Wiesbaden lediglich eine Fernmeldedienststelle verblieben wäre. Alle Beteiligten, das Personal, die Betriebsräte und nicht zuletzt die für die Verwal­tung zuständigen Beamten sahen sich einer äußerst schwierigen Situation gegenüber, wobei noch zu bedenken ist, daß damals keine genaue Vorstellung über das künftige Wachstum des Fernmeldewesens vorhanden war. In dieser Stunde hatte das Fernmel­dewesen im damaligen Leiter des Fernmeldebau­amtes, Postrat Dipl.-Ing. Kurt Weitzel, der später als ehemaliger Abteilungsleiter und Vizepräsident der Oberpostdirektion Frankfurt in Wiesbaden seinen Ruhestand verlebte, den richtigen Mann zur richti­gen Zeit. Seiner Tatkraft, seiner Umsicht und seiner Fähigkeit zu verhandeln und zu überzeugen, ver­dankt das Fernmeldeamt Wiesbaden, welches aus dem Fernmeldebauamt und dem alten Fernmelde­amt hervorging, am 1. Mai 1955 seinen Neubeginn. Nur wenige Bedienstete des aufzulösenden Fern­meldebauamtes in Wiesbaden mußten ihren Dienst- und Wohnsitz nach Gießen verlegen. Andere konn­ten nach einer Übergangszeit von Gießen nach Wiesba­den zurückkehren. Die vom Personal zu tra­genden Lasten, die in der Nachkriegszeit sehr schwer wo­gen, konnten dadurch auf ein erträgliches Maß ge­mindert werden.

Der Weg in die Vollautomatisierung

Die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch sind eng verknüpft mit der Einführung des Selbstwähl­ferndienstes (SWFD). Der Gebäudekomplex in der Rheinstraße 23/25 mit dem Sitz des damaligen Hauptpostamtes und Fernsprechamtes blieb unver­sehrt erhalten. An technischer Substanz war damit die Vermittlungsstelle 2, das handvermittelte Fern­amt und der Telegrafendienst vorhanden. Zudem erhielt Wiesbaden durch die amerikanische Besat­zungsmacht mit dem Aufbau von C-Carrier (Trä­ger­frequenz-Systeme) eine Verstärkerstelle, die der Ur­sprung für den weiteren Ausbau des Fernlei­tungs­netzes in Wiesbaden war. Die Fernkabelver­sorgung von Wiesbaden stützte sich hauptsächlich auf Ka­belverbindungen Frankfurt-Mainz ab. Die er­gab sich aus den damaligen wirtschaftlichen Über­legun­gen und linientechnischen Voraussetzungen. Folg­lich betrieb Wiesbaden ein End-Fernamt und Mainz ein Durchgangs-Fernamt. Nach diesem Kon­zept konnte auf eine Verstärkerstelle in Wiesbaden ver­zichtet werde, da Wiesbaden über Stichkabel zu versorgen war. Erst die spätere Entwicklung in den Jahren 1954 bis 1976 führte zu einer anderen Pla­nung, die den fernmeldemäßigen Erfordernissen der neuen Entwicklung im Wiesbadener Raum unmit­telbar Rechnung trug. Alle Bemühungen von der ersten Stunde an waren stets darauf ausgerichtet, den Ansprüchen des gesamten Aufschwungs und vor allem der großen Umstrukturierung im Wiesba­dener Raum genügend Rechnung zu tragen. Dies geschah zunächst unter dem Stichwort Mangel: Mangel an Gebäuden, an geeigneten Räumen, an Geld und genügender technischer Produktion (wenn es mal nicht an Geld gefehlt hatte) und nicht zuletzt auch an Mangel an Personal in allen Bereichen.Der Fernmeldedienst drohte Anfang der 50er Jahre aus allen Nähten zu platzen. Es gab lange Warte­zeiten. Zunächst waren in dieser Situation die Da­men vom Fernamt (Fräulein vom Amt) der rettende Anker. Sie wurden technisch unterstützt durch die Einrichtung von Fernwahlleitungen, so daß sie den wachsenden Massenverkehr im Nahbereich immer mehr durch eigene Wahl in die einzelnen Ortsberei­che sofort selbst abwickeln konnten. Mit diesen Maßnahmen wurden gleichzeitig Voraussetzungen für den Selbstwahlferndienst geschaffen. Ohne ein genügend ausgebautes Leitungsnetz für den zu er­wartenden ungehemmten Sofortverkehr mit entspre­chenden Zuwächsen war die Einführung des Selbstwählferndienstes nämlich nicht möglich. Das Fernmeldeamt Wiesbaden bestand damals aus dem eigentlichen Fernamt (46 Plätze), das den Fernver­kehr in abgehender und ankommender Richtung vermittelte, einem Vorschaltplatz für die Vermitt­lungsstelle 2, einer Auskunft (2 Plätze), einer Dienstvermittlung (1 Platz) und dem Schnellamt (16 Plätze). Das Schnellamt vermittelte den regionalen Verkehr in einem Bereich, der sich etwa mit dem Knotenvermittlungsstellenbereich 612 des Jahres 1976 deckt. Hinzu kamen noch die Rheingauorte Oestrich, Geisenheim, Rüdesheim und Lorch, die später an die Knotenvermittlungsstelle Bingen unter der Kennzahl 672 angeschlossen wurden. Die von den Amerikanern beschlagnahmten Einrichtungen, zu denen das Fernamt gehörte, wurden erst allmäh­lich wieder den Deutschen übergeben. Das Fernamt erhielt kurz nach dem Kriege neue Fernplätze F 36 st (st = steckbar), was auf die damalige Wehrmacht hinweist. Die vorhandenen Plätze genügten nicht und wurden daher durch Fk 16 ergänzt, wobei „Fk“ für Feld-Klappen-Schrank steht. 15 Fernplätze, als Trunks bezeichnet, dienten in den ersten Nach­kriegsjahren der US-Besatzungsmacht. An diesen Fernplätzen arbeitete man folglich nur in englischer Sprache.

Die Durchgriffsmöglichkeit der Besatzungsmacht wirkte sich nachteilig für das Fernmeldewesen in Wiesbaden aus. In der Vermittlungsstelle 2 wurden zusätzlich 2000 Anschlußmöglichkeiten herausge­trennt und für die Besatzungsmacht als B-Classe-Teilnehmer erklärt. Die verbleibenden 8000 An­schlüsse mußten zunächst für Wiesbaden genügen, zumal auch die Vermittlungsstelle Wiesbaden-Biebrich zum Ende des Krieges durch Bomben zer­stört worden war. Durch die Sprengung der Rhein­brücke Mainz-Kastel war die Fernmeldeversorgung der Vororte Kostheim, Kastel und Amöneburg ge­stört. Eine erste Anordnung am 15. September 1945 führte zur Inbetriebnahme einer Leitung im Dezem­ber 1945 zwischen Kastel und Wiesbaden. Sie en­dete auf einem Zehner-Glühlampenschrank. Ein solcher Glühlampenschrank wurde auch in Wiesba­den-Biebrich eingerichtet, bis die alte Vermittlungs­stelle im Jahre 1947 wieder instandgesetzt war. Be­reits im Jahre 1952 gelang es, eine neue zusätzliche Vermittlungsstelle mit 1800 Anschlußmöglichkeiten in der Rheinstraße 23/25 als Vermittlungsstelle 9 einzurichten. Sie bestand aus dem System 50 und wurde bereits im Herbst 1955 wieder abgebaut, da die Ziffer 9 für den immer stärker werdenden Städ­teverkehr, auch Massenverkehr genannt, dringend benötigt wurde. Die technischen Einrichtungen wurden in der späteren Vermittlungsstelle Wiesba­den 7 am Hainerberg erneut eingesetzt. Außerdem wurde der Raum der Vermittlungsstelle 9 für Ein­richtungen des Selbstwählferndienstes dringend be­nötigt.

Die hier angesprochenen Vorgänge hängen unmit­telbar mit der Entwicklung des Fernamtes zusam­men. Mehr Anschlußmöglichkeiten bedeuteten mehr Verkehr, wobei die Anschlußmöglichkeiten im Verhältnis zu den 1970er Jahren klein waren. Die einzelnen Anschlußeinheiten wurden sehr in­tensiv genutzt, so daß der Verkehrszuwachs pro eingerichtetem Anschluß wesentlich größer als ver­gangener Tage war. Mehr Verkehr bedeutete mehr Personal oder mehr Technik, die (was den Selbst­wählferndienst betraf) noch in der Entwicklung war, und vor allem mehr Leitungen und dafür mehr In­vestitionen in der Linientechnik. Die Kabelanlagen, Kabelkanäle, Netzausläufer und die Fernkabel mußten alle koordiniert ausgebaut, aber auch finan­ziert werden. Sie verschlangen 66 % der Gesamtin­vestitionen pro Anschluß. Es genügte also nicht, das eine zu tun und das andere zu lassen.

Die Wartezeiten waren groß. Um zum Beispiel ein Gespräch von Wiesbaden nach Hamburg oder Düs­seldorf zu erhalten, mußte ein Teilnehmer je nach Tageszeit mit Stunden rechnen. Erst mit dem Aus­bau des Fernleitungsnetzes und der Verstärkerstel­len gelang es, den Weitverkehr besser abzuwickeln.

Das Fernamt mußte durch den Städteverkehr schon vorher entlastet werden. Der Verkehr von Wiesba­den nach Frankfurt floß eine zeitlang nur über 68 Leitungen, obwohl für einen reibungslosen Selbst­wählfernverkehr 112 Leitungen nötig gewesen wä­ren. Dies ist ein Beispiel, das festhalten soll, wie es damals war. In den Fernämtern wurde hart gearbei­tet. Das Letzte wurde versucht, um den Sofortver­kehr (direkte Bedienung bei Anruf) in Gang zu set­zen. Mit Drängezeichen und Anzeigeinstrumenten versuchte man, das Fräulein vom Amt noch näher an den Teilnehmer, der am längsten wartete, heran­zuführen. Die Verkehrsbeobachtung wurde als Kontrolle der Arbeitsweise der Fernamtsbeamtinnen (intensiv) gehandhabt.

Der technische Weg ab 1950 in die 70er Jahre

Es ist ersichtlich, daß bei einer stetigen Verkehrszu­name, die mit dem allmählich beginnenden Ausbau der Vermittlungsstellen Wiesbaden 2, Wiesbaden 6, Neueinrichtung der Wiesbaden 4 (1953/54) und Wiesbaden 7 (1954/55) einherging, die Anforderun­gen an den Fernverkehr immer größer wurden. Das Fernamt sollte wegen der damit verbundenen perso­nellen Auswirkungen und auch wegen der engen räumlichen Verhältnisse nicht weiter ausgebaut werden. Vielmehr sollte der Raum des Fernamtes so schrumpfen, daß die Technik als Ersatz in den frei werdenden Raum hineinwachsen konnte.Mit den nachfolgend beschriebenen Maßnahmen wurde dieser Entwicklung in der Zeit von 1950 bis 1962 Rechnung getragen. Zuerst wurden vorläufige Stelbstwählferndienstbeziehungen in der Netzgrup­pentechnik (Gassentechnik) für den abgehenden Selbstwählferndienst für das Ortsnetz Wiesbaden in Richtung Frankfurt/Main, Mainz, Darmstadt, Rü­desheim, Oestrich, Bad Schwalbach, Aarbergen, Taunusstein, Idstein, Niedernhausen und Schlan­genbad über den Gruppenschritt 0 mit 2- und 3-stelligen Kennzahlen eingerichtet. Damit konnte zu­nächst das Schnellamt und im Nahverkehrsbe­reich das Fernamt entlastet und deren Fernverkehrs­ab­wicklung als Folge beschleunigt werden. Das Sys­tem funktionierte, erforderte jedoch eine große Ge­duld der Benutzer, da die damals zur Verfügung stehenden Leitungskapazitäten nicht ausreichten und die noch bestehenden Freileitungen sehr stö­rungsanfällig waren. Der Einsatz von Trägerfre­quenzsystemen (selbst über Freileitungen) z.B. nach Aarbergen, Bad Schwalbach und anderen Orten wurde erforderlich.

Später wurde die Knotenvermittlungsstelle in der neu entwickelten Technik 52 mit Umsteuer-Wähler I und II bei einer gleichzeitigen Aufhebung der Netzgruppentechnik unter Umstellung der Kenn­zahlen auf die heute gültigen Ortsnetzkennzahlen (Ortsnetz Wiesbaden nach Ortsnetz Frankfurt z.B. von 03 auf 06121, ab 06.09.1990 auf 0611) aufge­baut. Gleichzeitig wurden neue Fernverbindungen über Trägerfrequenzein­richtungen zu zahlreichen Städten im Bundesgebiet vorbereitet.

Der übernommene Städteverkehr der alten Netz­gruppentechnik nahm aber solche Ausmaße an, daß die neu aufgebauten technischen Einrichtungen bald voll ausgelastet waren. Aus diesem Grunde wurde eine Bezirksknotenvermittlungsstelle mit der Kenn­ziffer 9 zur Entlastung der Knotenvermittlungsstelle (Technik 52) aufgebaut, um den Massenverkehr von dem Ortsnetz Wiesbaden nach den Ortsnetzen Frankfurt (M), Mainz und Kastel aus dem Ver­kehrsweg über die Ziffer 0 herauszunehmen. Die Bezirksknotenvermittlungsstelle wurde anschlie­ßend noch für die Verkehrsbeziehungen nach den Ortsnetzen Rüdesheim und Oestrich erweitert. Das Ziel aller Anstrengungen war in der Folgezeit, den Knotenvermittlungsstellenbereich Wiesbaden in seiner heutigen Ausdehnung voll in den Selbstwähl­ferndienst zu überführen, das Fernamt weiter zu entlasten und dann das Schnellamt aufzuheben. Dies geschah zunächst durch den Aufbau einer Gruppe in der 4-Draht-Technik mit Richtungswähler 54. Die Knotenvermittlungsstelle Wiesbaden begann nun in die Räume des Fernamtes/Schnellamtes mit dem Aufbau des Fernwahlsystems Technik 62 hi­neinzu­wachsen. Damit sah auch das Fernamt die Stunde der vollen Still-Legung auf sich zukommen.

Beim Übergang zur Automatisierung wurden stets Arbeitskräfte freigesetzt. Es bleibt aber festzuhalten, daß keine Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter das Fernmeldeamt verlassen mußte. Die technische und personalwirtschaftliche Planung verlief stets zu Gunsten des betroffenen Personals.

Mit der Aufhebung des Fernamtes Wiesbaden am 18. Januar 1965 verschwand das liebenswerte Fräulein vom Amt, das in den hektischen 50er Jah­ren mit großem Einsatz unter stets steigenden An­forderungen und technischen Mangelzuständen vermittelnd seinen Dienst versah. Aber noch war das Fräulein vom Amt nicht wegzudenken, denn es wurde von nun an im Fernsprech-Auskunftsdienst benötigt und zwar in einem Umfang, der vorher nicht absehbar war. Hatte man vorher zwei Damen für die Auskunft be­nötigt, so waren es nach der Vollautomatisierung bald zwanzig und mehr im Ta­gesdienst. Zwei Gründe gab es dafür. Der Kunde benötigte Informa­tionen, weil die Automatisierung ihn vor Probleme stellte und weil die rasche Zu­nahme von Fern­sprechanschlüssen viele Anschluß­bereichsteilungen mit Rufnummeränderungen er­forderlich machte.

Seit der Einführung des Fernwahlsystems T 62 in Wiesbaden in den Jahren 1961/62 konnte die Kno­tenvermittlungsstelle stets gleichlaufend mit den Verstärkerstellen und den notwendigen linientechni­schen Bauvorhaben ausgebaut werden. Ver­kehrsengpässe waren nicht mehr zu verzeichnen. In der Rheinstraße 23/25 mußten ehemalige Speicher­räume, Flure und auch Sanitärräume zweckentfrem­det werden, um die erforderlichen technischen Ein­richtungen aufbauen zu können. In dieser Not ge­lang es, einen modernen Zweckbau in günstiger Lage zum Kabelnetz „Unter den Eichen“ zu errich­ten, nachdem mit Hilfe des Magistrats der Stadt Wiesbaden der Erwerb des notwendigen Grund­stücks ermöglicht wurde.

Vom Planungsbeginn im Jahre 1958 dauerte es bis zum Jahre 1969, um den Hochbau und alle zugehö­rigen Baumaßnahmen im Liniennetz zu verwirkli­chen. In den Folgejahren verlegte man die Knoten­vermittlungsstelle Wiesbaden in das neue vollkli­matisierte und allen Anforderungen moderner und künftiger Technik entsprechende Betriebsgebäude, das mit einem neuen Anbau für die 80er Jahre er­weitert wurde; Richtfest war 1978. All die vielen Umschaltungen verliefen unter vollem Betrieb vom Kunden unbemerkt und stellten eine hervorragende Leistung unserer Mitarbeiter in Betrieb, Planung, Organisation und Bauausführung in der Vermitt­lungs- und Linientechnik dar.

Wenn es so schwierig war, wie zuvor geschildert wurde, den rasch steigenden Fernverkehr bei gleichzeitiger Entwicklung neuer Techniken zu au­tomatisieren und dabei Personalvermehrungen in Grenzen zu halten, so muß auch die Entwicklung im Bereich der Ortsvermittlungsstellen rasant verlaufen sein. Zahlen für Wiesbaden sollen das kurz belegen. Der Verlauf im übrigen Amtsbereich war ähnlich, teilweise sogar noch progressiver. Hier ist an den Raum Rüsselsheim zu denken und an den Auf­schwung des Wiesbadener Umlandes. Das Fernmel­dewesen konnte diesen Entwicklungen immer Rechnung tragen.

Für die Zahlen des gesamten Fernmeldeamtsbe­reichs wurde der Bezug 1950 weggelassen, da das Fernmeldeamt erst mit 1960 eine Vergleichsgrund­lage hat. Wie bereits dargestellt, ist das Fernmelde­amt erst in den 50er Jahren in seinen heutigen Gren­zen entstanden; einmal durch die Zusammenlegung des Fernsprech- und Fernmeldebauamtes Wiesba­den und später mit der Übernahme der Ortsnetze Rüsselsheim, Flörsheim, Trebur, Bischofsheim und Hochheim.

Die Entwicklungszahlen für das Ortsnetz Wiesbaden:
Jahr 1950 1960 1970 1976
Hauptanschlüsse 9 824 25 196 61 124 80 940
Vermittlungsstellen 2 4 11 12
und für den gesamten Fernmeldeamtsbereich:
Jahr 1950 1960 1970 1976
Hauptanschlüsse – – – 34 164 98 427 161 000
Vermittlungsstellen – – – 23 35 45
Die Zahlen für das Ortsnetz Wiesbaden und den Fernmeldeamtsbereich zeigen, daß das Fernmelde­wesen gleichlaufend mit der Wirtschaftsentwick­lung seinen am Bedarf orientierten Ausbau vor­nahm. Betrüge der Nettozugang an Hauptanschlüs­sen beispielsweise 1968 noch 5588 Hauptan­schlüsse, so steigerte er sich 1969 bereits auf 14931 und in den Folgejahren entsprechend dem Kon­junkturverlauf auf 13380, 13091, 10141 und im Jahre 1973 noch auf 11118 Hauptanschlüsse. Aber 1974 und 1975 ging der Nettozugang auf 8740 und 6394 Hauptanschlüsse zurück.

Das gleiche Zahlenspiel ließe sich anhand des Fern­sprechverkehrs darstellen. Hier gehen einerseits die Zahl der Hauptanschlüsse als Verkehrsquelle und andererseits die Benutzungshäufigkeit der einzelnen Anschlüsse ein. Industrie, Handel, Gewerbe und Verwaltungen bringen auf Durchwahlleitungen aus ihren Nebenstellenanlagen einen großen Teil des Fernsprechverkehrs während der Tageszeit. Es be­durfte in den 50er Jahren vergleichsweise nur gerin­ger Investitionen, um die Verkehrsquellen für diese Verkehrsträger zu erschließen. Die Versorgung der privaten Haushalte in ihrer ganzen Breite bedarf da­her heute vergleichsweise großer Investitionen be­zogen auf den zu erwartenden Gewinn.

Die 60er Jahre waren von dem Ausbau der Orts­netze in der Linien- und Vermittlungstechnik ge­prägt. Die umfangreichen Rufnummernänderungen werden den Teilnehmern noch lange in Erinnerung geblieben sein. Ermöglicht wurde der Ausbau der Ortsnetze durch intensive Planung in der Linien- und Vermittlungstechnik, aber auch durch überlegte personalwirtschaftliche Maßnahmen und nicht zu­letzt durch die verantwortungsvolle Mitarbeit aller in den Verwaltungsbereichen Tätigen.

Voraussetzung hierfür war auch die Entwicklung von typisierten und genormten Gebäuden für die Ortsvermittlungsstellen, die in Fertigbauweise vor Ort montiert wurden. Nur auf dieser Grundlage konnte, wenn die oft sehr, sehr schwierige Grund­stücksbeschaffung durchgeführt war, die Nachfrage nach Fernsprechanschlüssen möglichst ohne Warte­zeit befriedigt werden. Ausnahmen bildeten Ver­mittlungsstellen in historischen Stadtlagen, wie z. B. die Ortsvermittlungsstelle 52 (1977) in der Wiesba­dener Taunusstraße und die in der Eltviller Altstadt gelegene Vermittlungsstelle (1982). Hier hat der Denkmalschützer mit geplant und die Außenfassade den benachbarten Gebäuden anpassen lassen.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß das Fernmeldeamt Wiesbaden neben einem gute ausgebauten Bezirkskabelnetz mit weitgehender Zweiwegeführung inzwischen auch in das Fernver­bindungskabelnetz direkt integriert wurde und dar­über hinaus über Richtfunk einen Zweitweg in alle wichtigen Richtungen besitzt.

Im Jahre 1975 erhielt das Fernmeldeamt Wiesbaden nach langjährigen Anstrengungen und nach einge­henden technischen und wirtschaftlichen Untersu­chungen vom Bundespostministerium grünes Licht für den Aufbau einer Knotenvermittlungsstelle in Rüsselsheim, obwohl die Landesregierung von Rheinland Pfalz über Jahre versucht hat, diese nach Mainz zu holen. Die Knotenvermittlungsstelle geht 1981 in Betrieb und versorgt die Ortsnetze Rüssels­heim, Flörsheim, Bischofsheim, Hochheim und Trebur. Der Fernmeldeschwerpunkt Rüsselsheim erhält die bis dahin in Mainz geschaltete Kennzahl 614.

Erwähnt sei am Rande, daß auch in Rüsselsheim sehr früh das Telegrafenwesen Einzug hielt. Im Jahre 1978 konnte mit einer Festveranstaltung und Ausstellung „100 Jahre Telegrafie in Rüsselsheim“ dieses Ereignis gewürdigt werden. Hierzu Auszüge aus einer Pressemitteilung:

„Vor hundert Jahren, im März 1878, wurde in Rüs­selsheim die am 15. Februar 1878 eingerichtete Postexpedition in ein Postamt III. Klasse umgewan­delt und die erste Telegrafenstation eingerichtet. Es war das Jahr in dem der Postexpeditor und Postver­walter Neeb, der von 1863 bis 1878 Amtsvorsteher des Postamtes war, vom Postverwalter Heinrichs, der das Amt bis 1914 leitete, abgelöst wurde, und das Personal aus einem Landbriefträger und einem Privatbediensteten bestand.

Zu einer der ersten Te­legrafenlinien gehörte die Verbindung von Frank­furt am Main nach Mainz, die der Stadt Rüssels­heim am 15. März 1878 den ersten Telegrafen brachte. Das deutsche Kabelnetz bestand wenige Jahre später (1891) bereits aus 5961 km Linie mit 40329 km Leitung und 1928 waren es bereits 8500 km Kabel mit 1600000 km Leitung.

Als Entgeld für ihre Leistungen erhob die Telegra­fenverwaltung 1876 eine Grundgebühr von 20 Pf und für jedes Wort 5 Pf. Ab 1. Juli 1876 fiel die Grundgebühr weg und die Wortgebühr wurde bis zum 31. Januar 1891 auf 6 Pf angehoben, um dann wieder auf 5 Pf gesenkt zu werden. Interessant ist auch das Widerspiegeln der Inflationszeit in den Telegrafengebühren.

Datum Grundgebühr in Mark Wortgebühr in Mark
01.10.1919 0,00 0,10
01.10.1920 0,00 5,00
01.08.1923 1 600,00 800,00
01.10.1923 6 000 000,00 3 000 000,00
01.11.1923 12 000 000 000,00 6 000 000 000,00
05.11.1923 0,00 0,10

Die Arbeitsbedingungen waren in jenen Tagen auch bei der Post sehr hart und das Privatleben kam sehr oft zu kurz. So weiß ein pensionierter Postbeamter vom Anfang des letzten Jahrhunderts zu berichten, daß er als gelernter Spengler 1911 in den Postdienst eingestellt wurde, um Schäden an den Dächern von Häusern zu beseitigen, die durch Eindringen von Wasser und Rost an den Halterungen der dort be­festigten Telegrafenständer verursacht wurde. Nach einer späteren kurzen Ausbildung im Fernmelde­baudienst kam er 1925 nach Rüsselsheim. Der Ar­beitstag, der um 7 Uhr begann, endete um 18 Uhr. War die Tagesarbeit aber noch nicht erfüllt, wurde es sehr oft 20 Uhr.

Nach dem Wahlspruch des damaligen Postamtslei­ters Kremmler, „Erst die Post, dann das Telefon“, mußte der Kollege erst die Post austragen, um dann erst die Schäden, die an „seinen“ Leitungen entlang der Bahnlinie entstanden waren, zu beseitigen. Mit der Zeit nahm die Arbeit für den Briefzusteller und Entstörer derart zu, daß er nur noch mit List auf seine Überlastung aufmerksam machen konnte.

An einem Morgen, die Batterieversorgung der Tele­grafenanlage im Bereich Rüsselsheim zeigte Män­gel an, die auf einen baldigen Ausfall und somit auf ein Erliegen des Telegrafendienstes schließen ließ, nahm der Beamte schnell seine Post und ging auf seine Tour. Damit er nicht gleich zur Störungsbe­seitigung gefunden werden konnte, änderte er seine tägliche Route. Es kam, wie er es vorausgesehen hatte, der Postamtsleiter ließ ihn suchen und aus­richten, daß die Zustellung sofort abzubrechen sei und eine Störung der Telegrafenanlage beseitigt werden muß. Der Zusteller ließ sich aber nicht von seinem Zustellgang abhalten. Er marschierte weiter und ließ seinem Chef ausrichten, daß er nach dem bisher gültigen Wahlspruch, „Erst die Post, dann das Telefon“, handele. Somit war die Störung erst am späten Nachmittag beseitigt. Die eingegangenen Beschwerden führten dazu, daß der bisherige un­haltbare Zustand beseitigt wurde und von nun an Rüsselsheim einen besonderen Entstörer hatte.“

Nach den Abschweifungen in die frühere Telegrafie und das Leben eines Rüsselsheimers Entstörers nun wieder zurück zu den laufenden Ereignissen.

Durch eine weitere Entscheidung des Bundespost­ministeriums im Jahre 1975 wird der fernmeldemä­ßige Schwerpunkt Wiesbaden eine elektronische Datenvermittlungsstelle erhalten. Es sind zwei Ein­heiten mit je ca. 16000 Systemanschlüsse vorgese­hen, die im neuen Anbau des Fernmeldedienstge­bäudes im Carl-v.-Ibellweg aufgebaut werden. Beide Vermittlungsstellen werden Bestandteil eines „Integrierten Fernschreib- und Datennetzes“ sein. Wiesbaden wird für einen entsprechend großen Be­reich zuständig sein. Die in Wiesbaden vorhandene Telex-Vermittlungsstelle wird mit der Inbetrieb­nahme der neuen Datenvermittlungsstelle (1986) aufgehoben. Anzumerken ist, daß das Fernmelde­amt Wiesbaden bei der Firma Opel am 5. August 1976 den 1000sten Telexanschluß im Amtsbereich in Betrieb nehmen konnte. Das Datennetz wartet mit hohen Zuwachsraten auf, sowohl an posteigenen Zusatzeinrichtungen für Daten als auch im öffentli­chen Direktruf- und im öffentlichen Fernsprech­netz.

Die Versorgung der Fernsehteilnehmer mit dem 2. und 3. Programm über Fernsehumsetzer ist weit vo­rangeschritten und spielt in unserem Amtsbereich beding durch die topographischen Verhältnisse eine große Rolle. In den letzten Tagen 1976 konnte ein neuer Fernsehumsetzer zur Versorgung von Hohen­stein im Aartal der Öffentlichkeit vorgestellt wer­den. Damit sind inzwischen 30 Fernsehumsetzer in Betrieb und versorgen die Bevölkerung mit immer mehr Programmen der Fernsehanstalten in besserer Güte. Der Versorgungsgrad der Wohnbevölkerung unseres Amtsbereiches mit dem 2. Programm liegt bei 98 % und mit dem 3. Programm bei etwa 96 %. Daneben nimmt das Fernmeldeamt Wiesbaden we­sentliche Aufgaben für das Zweite Deutsche Fern­sehen war. In den Gebäuden der Sendezentrale „Unter den Eichen“ ist eine Funkübertragungsstelle des Fernmeldeamtes eingerichtet, in der sternförmig die von der Deutschen Bundespost betriebenen Zu­bringerleistungen zusammenlaufen. Bild- und Ton­signale werden hier an das Zweite Deutsche Fernse­hen übergeben. Gleichermaßen übernimmt hier die Deutsche Bundespost das 2. Programm, das dann über das Fernseh-Verteilnetz den Fernseh-Grund­netzsendern zugeführt und von diesen und den Fernsehumsetzern ausgestrahlt wird.

UKW-Rheinfunk am Niederwald versorgt die Schiff-Fahrt auf dem Rhein mit Fernsprechverbin­dungen. Der öffentlich bewegliche Landfunk (öbL) verbindet die mit Fernsprechern ausgerüsteten Kraftfahrzeuge zu jeder Tages- und Nachtzeit mit dem öffentlichen Fernsprechnetz.

Ein modern organisierter Entstörungsdienst ist täg­lich bemüht, einen guten Kundendienst zu bieten. Selbstverständlich gilt dies auch für die Dienste, die der Kunde nicht kennt, da sie dem innerbetriebli­chen Bereich angehören wie die Instandsetzungs­dienste in den Vermittlungsstellen, Fernsprech- und Fernschreibübertragungssstellen, Funkübertrags­stellen, in den Stromversorgungs- und den maschi­nentechnischen Anlagen.

1976 feiert Wiesbaden den 100. Geburtstag seines Fernmeldeamtes. Unter der Vielzahl für das Fern­meldeamt bedeutsamer Ereignisse soll noch erwähnt werden, daß es den Bemühungen des Fernmelde­amtes unter der Leitung von OPDir. Dipl.-Ing. Werner Hufnagel (Amtsvorsteher von 1968 bis 1973) gelang, eine für das Fernmeldewesen wich­tige Dienstelle, die „Zentrale Rückvergrößerungs­stelle und Datenaufbereitung“ in Wiesbaden anzu­siedeln. Sie versendet täglich an Dienststellen und Ämter des Fernmeldewesens im ganzen Bundesge­biet ca. 8 bis 10000 technische Zeichnungen und kommt somit im Jahr auf 1,8 Millionen Reproduk­tionen von Unterlagen, die auf Mikrofilmen gespei­chert sind.

Nach Aufbau des neuen Notrufsystems 73 konnte der damalige hessische Innenminister Hans-Heinz Bielefeld am 9. September 1975 in einem Fern­sprechhäuschen in Taunusstein den ersten Notruf­melder Hessens für münzfreien Notruf in Betrieb nehmen.

Statistische Zahlen 1976

Der Amtsbereich umfaßt die Ortsnetze Aarbergen, Bad Schwalbach, Bischofsheim, Eltville, Flörsheim, Hochheim, Idstein, Lorch, Mainz-Kastel, Niedern­hausen, Oestrich-Winkel, Rüdesheim, Rüsselsheim, Schlangenbad, Taunusstein, Trebur, Wallau und Wiesbaden; die Amtsbereichsfläche beträgt 1086,66 qkm.

Technische Einrichtungen

45 Ortsvermitlungsstellen
2 Fernvermittlungsstellen
8 Telexvermittlungsstellen
13 Verstärkerstellen
4 Funkübertragungsstellen
30 Fernsehumsetzer
4 570 km Ortsanschlußkabel
855 km Fernverbindungskabel
157 572 Hauptanschlüsse
242 971 Sprechstellen
1 075 Telexanschlüsse
191 Datenübertragungseinrichtungen
1 130 Öffentliche Münzfernsprecher
127 öbL-Teilnehmer (Autotelefon)
Hauptanschlußdichte
27,3 Hauptanschlüsse pro 100 Einwoh­ner
62,5 Hauptanschlüsse pro Haushalte
Verkehrszahlen 1975
2 279 904 Fernsprechauskünfte
40 646 869 Ferngespräche
90 303 355 Ortsgespräche
36 445 Telegramme
27 213 450 Telexgebühreneinheiten
Zur Verfügung stehende Finanzmittel 1976
10 170 000 DM Betriebsausgaben ohne Personalkosten
32 500 000 DM Neuinvestitionen für Vermittlungs-, Übertragungs- und Linientechnik
Beschäftigte beim Fernmeldeamt
840 Mitarbeiter, darunter 67 Ingenieure
445 Mitarbeiterinnen
68 Auszubildende

Der Weg in das 20. Jahrhundert

Mit Beginn des Jahres 1980 kann das Wiesbadener Fernmeldeamt feststellen, daß der Nahdienst in weiten Bereichen seines Bezirkes eingeführt ist. Im Nahbereich sind mehrere Ortsnetze zu einem ein­heitlichen Tarifgebiet zusammengeschlossen. Er wird wie folgt gebildet: Um den „Mittelpunkt“ eines jeden Ortsnetzes wird ein Kreis mit einem Radius von 20 km geschlagen. Jedes Ortsnetz, dessen Mit­telpunkt in diesen Kreis fällt, gehört zu demselben Nahbereich. Unabhängig davon wird jedes unmit­telbar angrenzende Ortsnetz in den Nahbereich ein­bezogen, auch dann, wenn dessen Mittelpunkt außerhalb des 20 km-Kreises liegen sollte. Der Nahbereich umfasst damit im Durchschnitt 18 Orts­netze, die zu der niedrigsten Gesprächsgebühr er­reichbar sind. Ein neues System ist eingeführt, das anfangs von ablehnenden Leserbriefen in Zei­tungen, Protestveranstaltungen und öffentlichen, negativen Stellungnahmen begleitet war.Ähnlich verläuft auch die Einführung des Breit­bandkabelnetzes (BK-Netz) für den Rundfunk- und Fernsehempfang. Während CDU/CSU-regierte Länder das Breitbandangebot unterstützen, wollen SPD-geführte Länder (wie Hessen) die Einführung verhindern, ja, sie verlangen sogar einen fernseh­freien Tag in der Woche. So ist es von höchster Be­deutung, daß der Bürgermeister von Kiedrich (SPD) die Ausbaupläne des Fernmeldeamtes befürwortet und stolz darauf ist, daß seine Gemeinde als erste im Wiesbadener Fernmeldeamtsbereich verkabelt ist (Inbetriebnahme am 25.01.80); die häßlichen Dach­antennen in seinem gotischen Weindorf können nun Zug um Zug verschwinden.

Mit Hauswurfsendungen, Informationsveranstaltun­gen, Kabelmobil, Kabelshelter und Kabeltruck wird für BK geworben und Antennenbauer werden mit der neuen Versorgungstechnik von Rundfunk und Fernsehen über Erdkabel der Post in vielen Semina­ren informiert. Die Bemühungen zeigen Früchte. Nach Kiedrich folgen 1983 Niedernhausen, 1988 Oestrich, Geisenheim und Idstein, 1989 Michelbach und Flörsheim sowie 1990 Ransel. Der Bk-Ausbau wird zum Selbstläufer.

Mitte der 80er Jahre hält die digitale Vermittlungs­technik im Fernmeldeamtsbereich Einzug. Sie hat einerseits weitaus geringeren Platzbedarf erfordert aber andererseits Platz für die notwendige Klima­technik. Die Ortsvermittlungsstelle 8 in Wiesbaden ist die größte digitale Vermittlungsstelle Hessens, die am 24. Juni 1987 ohne Probleme von Analog auf Digital umgeschaltet und in Betrieb genommen wird. Zug um Zug folgen die anderen Vermittlungs­stellen. Einher geht die Entwicklung multifunktio­naler Endgeräte, mit denen nicht nur telefoniert werden kann, sondern weitere Dienste in Anspruch genommen werden können. Mit dem begonnenen Einsatz digitaler Vermittlungssysteme ist die Vor­aussetzung für das digitale dienstintegrierte Fern­meldenetz, mit der internationalen Abkürzung ISDN, geschaffen. Über das neue ISDN kann von 1988 an die Abwicklung aller bestehenden und künftigen schmalbandigen Text-, Sprach- und Da­tendienste zwischen den Teilnehmern erfolgen. Für die Nachfrage nach breitbandigen Individualkom­munikationsdiensten, wie Videokonferenzen, Bild­fernsprechen, schneller Text- und Datenaustausch steht ein Glasfaser-Netz zur Verfügung

War es bisher üblich, auf Kunden zu warten, so än­dert sich jetzt das Verhalten der Deutschen Bundes­post. Werbung und Verkauf ist angesagt. Mit Aus­stellungen und Ständen auf Messen bieten die Fernmelder ihre Produkte an, in Seminaren erfolgen Produktinformationen und mit Telefonläden im Ci­tybereich wird näher an die Kunden herangerückt.

1981 eröffnet das Fernmeldeamt in der Langgasse in Wiesbaden seinen ersten Telefonladen, der 1990 in den Michelsberg umzieht. Weitere Läden folgen 1991 in Wiesbaden-Biebrich und im Stadtkern von Rüsselsheim. Die Telefonläden werden fester Be­standteil der Verkaufsphilosophie. Weniger Glück ist dem Service-Laden der Fernsprechentstörungs­stelle gegenüber der neuen Hauptpost (die kurz nach der Jahrtausendwende abgerissen wird), am Kaiser-Friedrich-Ring gelegen, beschert. Er wird Ende 1991 eröffnet und nach wenigen Jahren wieder ge­schlossen.

Das neue Fernmeldedienstgebäude

Während die Standortfrage für Telefonläden und für die hochwertigen modernen fernmeldetechnischen Anlagen gelöst war, wurde die Unterbringung der Verwaltungsstellen des Wiesbadener Fernmelde­amtes und der Logistik immer dringlicher zumal auch das Postamt durch enormen Verkehrszuwachs einen permanenten Raummehrbedarf für sich bean­spruchte. Die notwendige Sofortlösung bestand in einer nach und nach erfolgenden Auslagerung von Fernmeldedienststellen in Mieträume, die zuletzt in 12 verschiedenen Objekten im Stadtgebiet verstreut untergebracht waren. Infolge dieser Verzettelung ergab sich ein ganz erheblicher Mehraufwand an Personal- und Sachkosten in einer Größenordnung von 300000 bis 400000 DM pro Jahr. Um diesen unbefriedigenden Umstand alsbald zu beenden, wurde bereits zu Beginn der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts Überlegungen für ei­nen Neu­bau angestellt. Nach langwierigen und zä­hen Ver­handlungen konnte das Grundstück am Konrad-Adenauer-Ring 10 Jahre später Parzellenweise er­worben werden, wodurch der Ausführung nichts mehr im Wege gestanden hätte, wenn nicht gleich­zeitig am Bahnhof das neue Hauptpostamt gebaut worden wäre.Da das Freiwerden des alten Postdienstgebäudes ab­zusehen war und die Räume durch den Fernmelde­dienst genutzt werden konnten, wurde eine Untersu­chung über den langfristigen Raumbedarf des Fernmeldeamtes eingeleitet, die auch eine nachvoll­ziehbare Aussage über dessen wirtschaftlichste De­ckung enthalten mußte. Das Ergebnis dieser Studie lag 1977 vor. Trotz der inzwischen durchgeführten Verlegung eines Groß­teils der Fernmeldedienststel­len in das alte Postamt kristallisierte sich neben vielen anderen Details als wesentlichstes Entschei­dungsmerkmal heraus, daß die vorhandenen Räume weder von der Größe, noch von der Lage, noch von ihrem Zuschnitt her aus­reichten, um alle Dienst­stellen unterzubringen kön­nen. Zudem wären er­hebliche Mittel für eine not­wendige Sanierung und einen erforderlichen Umbau aufzuwenden gewesen.

Angesichts dieser überzeugenden Ergebnisse fiel endlich bei der Oberpostdirektion Frankfurt und im Bundespostministerium die lang ersehnte Entschei­dung zugunsten eines Neubaus. Nach Durchführung des Zustimmungs- und Genehmigungsverfahrens konnte am 12. Januar 1984 mit den Bauarbeiten be­gonnen werden. Das neue Gebäude mit 12000 qm Gesamtnutzfläche dient der Verwaltung, der Kun­denbetreuung und -beratung; unter anderem sind untergebracht die Anmeldestelle, die Fernmelde­buchstelle, die Fern­sprechauskunft, die Fernsprech­entstörungsstelle und begleitende Einrichtungen im Sozialbereich wir Kantine, Küche und Nebenräume. Die Hauptnutz­fläche für Büro- und Verwaltungs­räume beträgt rund 8000 qm, für fernmeldebetrieb­liche Räume 2000 qm. Für die Hochbaumaßnahmen sind 56,3 Mio. DM veranschlagt worden, wovon 43,5 Mio. DM auf das Verwaltungsgebäude, 5,5 Mio. DM auf die Tiefgarage und 1,5 Mio. DM auf die Außenan­lage entfallen. Für die künstlerische Ausgestaltung wurden 700000 DM vorgesehen; Ar­chitekten- und Ingenieurleistungen betragen rund 5,8 Mio. DM. Die technischen Einrichtungen für die Fernsprech­entstörungsstelle, Telefonauskunft und die hausin­terne Nebenstellenanlage kosten 2,5 Mio. DM.

Das Gebäude wurde in konventioneller Bau­weise in Stahlbeton und mit tragenden Mauer­werkswänden erstellt. Die Fundierung erfolgte wegen der ungüns­tigen Bodenverhältnisse mit einem durchgehenden Plattenfundament. Die Fassaden zeigen die tragende Konstruktion und die Nutzung des Gebäudes. Die Betonscheiben wurden mit hellem Werkstein verkleidet, die dazwi­schenliegenden Fenster- und Brüstungs­bänder sind aus einer Leichtmetallkonstruktion mit Einbrennla­ckierung.

Herausragende Ereignisse waren die Grundsteinle­gung am 16.08.84, das Richtfest am 27.05.86 und die Schlüsselübergabe am 21.05.1987.

Der Neubau war nicht nur dringend erforderlich, sondern ist auch der Bedeutung des Fernmeldeam­tes Wiesbaden angemessen. Der Amtsbereich des Fernmeldeamtes Wiesbaden erstreckt sich über 1200 qkm, in denen (1986 ) 581632 Einwohner mit allen Fernmeldedienstleistungen zu versorgen sind. Eckpunkte diese Amtsbereiches sind die Städte Id­stein, Bad Weilbach, Rüsselsheim und Lorch. In diesem Gebiet gibt es 18 Ortsnetze mit 46 Ortsver­mittlungsstellen, an die 268457 Telefone ange­schlossen sind. Mit einem Personalbestand von 1876 Kräften und einem Jahresumsatz von über 530 Millionen (davon allein 160 Millionen jährlicher Investitionssumme) zählt das Fernmeldeamt Wies­baden zu den großen Betrieben der Landeshaupt­stadt.

Im neuen Gebäude des Fernmeldeamtes hat die Deutsche Bundespost mit einem Kostenauf­wand von rund zwei MillionenDM das Projekt „ROLAND“ als europäisches Testlabor und Beratungszentrum für Protokolle der Informati­onstechnik eingerichtet. ROLAND steht für Realisierung offener Kommunikationssysteme auf der Grundlage anerkannter europäischer Normen und der Durchführung harmonisierter Testverfahren.

Die Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationsgesellschaft erfodert offene Kommunikation in einem gemeinsamen euro­päischen Markt. Offene Kommunikation setzt aber Kompatibilität zwischen vergleichbaren Endgeräten unterschiedlicher Hersteller sowie den darin ablaufenden Anwendungsprogram­men voraus. Sie basiert auf der Schaffung und Einhaltung von technischen Normen. Sieben Gesellschaften aus sechs Ländern haben sich verpflichtet, sogenannte EUROLABs (Europäi­sche Testlaboratorien) einzurichten. Das EU­ROLAB der DBP (TELEKOM) wurde am 09.03.1990 in Wiesbaden der Öffentlichkeit vorgestellt.

Verlust des Fernmeldemonopols

Mit dem auslaufenden 20. Jahrhundert beginnt die Deutsche Bundespost sich zu wandeln. Grund ist ein Beschluß der EU mit dem Inhalt: Abbau der na­tionalen Monopole, also auch des Fernmeldemono­pols. Mit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes zum 01.07.1989 erfolgt in Deutschland eine rechtliche Trennung der bisher im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen wahrgenommenen poli­tischen, hoheitlichen und unternehmerischen Auf­gaben der Deutschen Bundespost. Dies hat zur Folge, daß alle politischen und hoheitlichen Aufga­ben dem neuen Bundesamt für Post- und Telekom­munikation (BAPT) zugeordnet werden. Die unter­nehmerischen Aufgaben wurden den drei neugebil­deten Unternehmen POSTDIENST, POSTBANK und TELEKOM übertragen, die am 01.01.1990 ihre Aufgaben übernahmen. Ziel der gesamten Umorga­nisation ist es, durch marktwirtschaftlich ausge­richtete Unternehmensstrukturen die organisatori­schen Grundlagen zu schaffen, um den Zukunfts­aufgaben gewachsen zu sein und im Wettbewerb mit Privatunternehmen Angebotsvielfalt, Preiswür­digkeit, Qualität, Effizienz und Service in allen drei Bereichen zu fördern. Dieser Wettbewerb im Be­reich der Telekommunikation ist bei den Nonvoice-Diensten bereits zum 01.08.1988 (also vor Inkraft­treten des Poststrukturgesetzes) eröffnet worden. Seit 01.09.1989 ist als weiterer Bereich die „In­standhaltung von Telex-Endstelleneinrichtungen“ (bis dahin Monopoldienstleistung der DBP) freige­geben. Weiterhin wird zum 01.07.1990 der Markt der Telefon-Endstelleneinrichtungen freigegeben. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang, daß für Telefon-Nebenstellenanlagen und für Non­voice-Endeinrichtungen im Bereich der Deutschen Bundespost (im Gegensatz zu einigen Ländern Eu­ropas) schon immer Wettbewerb bestand.In vielen Informationsveranstaltungen wird das Per­sonal über anstehende organisatorische und perso­nelle Verände­rungen informiert. Die ersten Veran­staltungen mit dem Thema „Post 2000 Postreform I“ finden 1990 statt und zeigen den Weg, den es zu beschreiten gilt. Von besonderem Interesse für das Personal ist hierbei die Zukunft der Beamtinnen und Beamten sowie die der Sozialeinrichtungen in einer künftigen Aktiengesellschaft.

Für die Kundschaft macht sich der Wandel durch ein neues CI/CD (Corporate Identity/Corporate De­sign) bemerkbar. Formblätter, Druckwerke, Brief­bögen, Arbeitskleidung des Außendienstes, Verpa­ckungsmaterial, Gestaltung der Telefonläden und Fernmeldedienstgebäude und vieles mehr treten in einem neuen Logo in Erscheinung. Die Parole heißt weg vom Hoheitsunternehmen, hin zum dynami­schen Unternehmen.

Spürbar fürs Personal wird der Wandel des Unter­nehmens 1994. Mit den Informationsveranstaltun­gen „Telekom Kontakt / Telekom AG“ wird die künftige Organisation des eigenen Hauses vorge­stellt, in der es viele Stellen nicht mehr geben wird, aber auch neue zu finden sind. Manche Aufgaben werden eliminiert, andere sind ganz oder teilweise in der einen oder anderen neuen Stelle, jetzt Ressort genannt, zu finden. Vom Personal wird verlangt, daß es sich, wenn der Arbeitsplatz wegfällt, um ei­nen neuen selbst bemüht. Das ist et­was völlig un­gewohntes, hat sich der Dienstherr doch bis „ges­tern“ in solchen Fällen darum gekümmert. Bei der Suche nach einem evtl. Arbeitsplatz in der Neu­or­ganisation ist noch zu bedenken, daß das Fern­mel­deamt inzwischen Teil eines sogenannten Tripels ist. Tripel bedeutet, die Fernmeldeämter Wiesbaden, Mainz und Bad Kreuznach bilden eine Einheit. Wiesbaden ist für den Geschäftskundenbereich zu­ständig und hat Außenstellen in den Niederlassun­gen Mainz und Bad Kreuznach, die Privatkunden werden von Mainz mit Außenstellen in Wiesbaden und Bad Kreuznach betreut und in Bad Kreuznach sitzt die Geschäftsleitung für den technischen Be­reich mit Außenstellen in Mainz und Wiesbaden.

Ab dem 1. Januar 1995 ist die Deutsche Telekom eine Aktiengesellschaft und firmiert als Deutsche Telekom AG, Bonn. Sie wird am ersten Arbeitstag des neuen Jahres im Bonner Register (Amtsgericht Bonn HRB 6794, Sitz der Gesellschaft Bonn) ein­getragen. Aus diesem Grund finden am 16. Januar 1995 in allen Niederlassungen Mitarbeiterveran­staltungen statt, jeder erhält einen Brief des Vor­standes und ein Geschenk. Geboten wird an diesem Tag ein ausgesuchtes Büffet mit warmen und kalten Speisen, dazu Getränke, im Kantinenbereich des Niederlassungsgebäudes aufgebaut. Die Wiesbade­ner Festveran­staltung kostete übrigens 31034,- DM für rund 800 Anwesende.

Am Anfang des ersten Jahres in der AG beginnt die Zertifizierung der Niederlassung Wiesbaden. In fast 100 Seminaren werden Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter für den Wettbewerb ihres Unternehmens im kommenden Konkurrenzkampf fit gemacht. Fast gleichzeitig sind ungeahnte Aktivitäten in der Per­sonalverwaltung festzustellen, die sich über die nächsten Jahre hinziehen werden. In eine Aktienge­sellschaft passen keine Beamte (seit dem 01.01.1995 werden keine mehr eingestellt) und das Unternehmen hat zuviel Per­sonal, das es abzubauen gilt. Grund ist die sehr straffe Organisation und die Digitalisierung, die vor allen Dingen in der Technik viel Personal freistellt. Als Lockmittel dienen finan­zielle Abfindungen, Vorruhestandsregelungen und Zurruhesetzungen.

In diesen bewegten Zeiten übernahm der Leiter des Fernmeldeamtes (der Niederlassung) Wiesbaden, Dipl.-Ing. Gerhard Schreyer, im Rahmen des Auf­baus Ost als kommissarischer Leiter ein Ostberliner Fernmeldeamt. Er schwirrt zwischen Ost und West hin und her, was letztlich zu viel wird. Er bekommt einen Herzinfarkt und stirbt am 7. April 1992, 53 Jahre alt. In seiner Abwesenheit übernahm Dipl.-Ing. Fried­rich Hempel am 01.07.1991 die Leitung des Fernmeldeamtes und wird am 16. Au­gust 1992 im Kreise der Mitarbeiter als neuer Amtsvorsteher eingeführt. Das Amt hat er inne bis zum 31. De­zember 1995, sein Nachfolger ist ein Manager aus der freien Wirtschaft.

Das Ende

Gegen Ende des Jahres 1999 wird in einem weiteren Umorganisationsschritt der Deutschen Telekom die Wiesbadener Telekom-Niederlassung aufgelöst und besteht von nun an als Außenstelle der Telekom Mainz. Nach 123 Jahren endet, die Geschichte des Fernmelde­amtes (Telekom Niederlassung) in Wies­baden, die als Telegrafenamt 1876 begann.